Donnerstag, 22. März 2012

Von Wikingern, positiver Energie und Fahrradstapeln

Lieber Herr S.

ich befinde mich derzeit im Auslandssemester in Schweden und bin auf die wahnwitzige Idee gekommen, ein paar Kurse in Skandinavistik zu belegen. Eigentlich hatte ich gedacht, dass das ja ganz gut für die Erweiterung meines Horizonts wäre - immer nur wirtschaftsbezogene Fächer belegen macht einen über kurz oder lang doch nur zum Fachidioten mit einem Horizont bis kurz hinter dem eigenen Pony, nicht wahr? Nun ja, ich habe da denke ich falsch gedacht. Ich habe Freitag ein Examen in skandinavischer Geschichte und ich bin mehr als absolut gar nicht dazu in der Lage, da auch nur irgendwie Zusammenhänge herzustellen und auch nur irgendwas zu verstehen. Deswegen wollte ich Sie fragen, ob es vielleicht möglich wäre, wieder an die plötzlich extrem geliebte Fontys zurückzukehren und Geschichte mit Statistik I und II und meinetwegen auch III zu tauschen? Ich würde derzeit lieber freiwillig ohne Taschenrechner irgendwelche Koherenzkoeffizienten ausrechnen, deren Ergebnisse unwahrschlich lange Dezimalzahlen haben, als mich noch eine Sekunde länger mit Nationbuilding oder Christianization in Scandinavia zu beschäftigen. Ist das ein Deal?

Schöne Grüße aus Schweden

Samira

Alles klar soweit? Nee? Keine Sorge, ich schnalls auch nicht.
So oder so ähnlich könnte der Brief lauten, den ich gerne an meinen alten Mathedozenten schicken würde. Seit meinem Skandinavistikabenteuer lerne ich Statistik plötzlich doch sehr zu schätzen. Es kann einfach nichts ätzender sein, als irgendwelche Abfolgen von Königen nachzuvollziehen, die sich gegenseitig bekriegen, hier mal ein bisschen Land an sich reissen, da mal was verlieren, dann durch undurchsichtige Verwandtschaftsverhältnisse und irgendwelche Erbrechte mal eben König von Polen werde,n um sich dann von irgendeinem Rivalen abschlachten zu lassen - nicht aber ohne vorher eine der Töchter an den König von Unteroberlinksrechts-Schlesien zu verheiraten, damit das dann auch noch ins Königreich gehört - das aber selbstverständlich durch irgendeine Rebellion wieder zerschlagen wird - wahlweise von jemandem, der Verwandtschaftsverhältnisse mit Arabien und/oder Takatukaland hat.

Ich meine, ich bin ja schon passionierte Gala-Newsticker-Leserin und meine Fähigkeiten, mir persönliche Verhältnisse merken zu können, sind wirklich überdurchschnittlich gut ausgeprägt - aber Geschichte zwingt selbst mich in die Knie. Da helfen auch keine zehn Jahre Klatsch- und Tratscherfahrung mit A. Die liebe A. hatte übrigens in ihrer Zeit in Finnland auch Skandinavistik und die reagiert auch ganz allergisch auf Gustav Vasa, den schwedischen Obermufti im späten Mittelalter und der frühen Moderne. Weil, History Fun Fact: Finnland und Schweden gehörten fuenfzehnhundertschlagmichtot beide zu Schweden, während Denemark und Norwegen auch ein Statt, wenn auch zwei unabhängige Königreiche waren - salopp ausgedrückt Norwegen aber die Bitch von Dänemark war.

Ihr merkt schon, das ist alles ein bisschen undurchsichtig. Und das hilft mir auch nicht, dass wir nur Quellen haben, die für Geschichtsdoktoranden sind und deswegen gerne mal eine Querreferenz gemacht wird, die ich echt nicht verstehe. Ich zitiere: "The Nationbuilding in Norway took similar paths like the Christianization process in the early medieavel England". Da sitze ich dann davor und denke nur so "Hääääää?" und dann muss ich doch wieder meinem Kumpel Wikipedia fragen. Denn außer Wikipedia, den Doktorquellen und meinen mehr als obstrusen Mitschriften gibt es leider nichts auf Englisch und mein Schwedisch ist ja immer noch nicht so Hammer.

Was haben Wikinger gemacht? Das da!
Denn erst habe ich gedacht, ich sei einfach nur doof, dass ich nicht dazu in der Lage bin, da mal ordentlich was mitzuschreiben. Aber dann haben wir uns gestern mal eine Aufnahme des letzten Seminars angehört und da wurde klar, dass eine ordentliche Mitschrift Mission Impossible ist. Der Dozent ist verwirrt. Und wenn er mal ein Wort nicht weiss, macht er das mal gerne pantomimisch vor. Und er stellt gerne Fragen, auf die er nie eine Antwort gibt.

Deswegen haben meine Lerngruppe und ich gestern auch Galgenhumor entwickelt und ein Ratespiel daraus gemacht: Dozent: "It is very important for the exam to know that Denmark had it, Sweden only partly und Norway didn't have it at all. Now, let's talk about identities...". Klassisches Beispiel, Antwort nicht gegeben und gleich mal weiter zum nächsten Thema. Deswegen haben wir dann nach individueller Erleuchtung immer die Hand gehoben und gesagt: "Möchte lösen!" um dann alle von den Fragezeichen zu erlösen, indem man "Feudalismus!" brüllte. Das konnte man aber dann wirklich auch nur wissen, wenn man die Doktorquellen durchgelesen hat. Kein Wunder, dass ich da nix gerafft habe. Und auch das mit den Wikingern immer noch nicht so raffe.

Nachteil ist auch, dass ich so ziemlich die einzige im Kurs bin, die weder Muttersprachlerin noch Geschichtsstudentin ist. Deswegen bin ich da ein bisschen in Nachteil, weil ich für alles ein bisschen länger brauche, als alle anderen. Ich hatte mich ja zuerst in Sicherheit gewogen, als ich am Anfang des Semester so viele Menschen aus Singapur in dem Kurs gesehen habe - naja, es stellt sich raus: Die erste Sprache in Singapur ist Englisch, die sind mir also weit voraus. Ich bin kurz davor, morgen bei einer Frage zu den Wikingern einfach das oben gezeigte Piratenschiff aufzumalen. Aber bei meinen nicht so guten Zeichenskills könnte man wahrscheinlich nicht mal das erkennen. Ich habe diese Woche auch schon viele Anmerkungen über meine nicht so tollen Zeichenfähigkeiten hören müssen.



Ich habe nämlich dann mal diese wirklich vergiftete Atmosphäre in unserem Flur versucht, ein bisschen aufzulockern. Schließlich war ich mal Human Resource Manager in der Mini (tausche auch gerne noch mal Mini gegen Geschichte II, das mich ab nächster Woche erwartet. Yay). Wenn ich will, kann ich also praktisch sofort als Diplomat bei der UNO anfangen. Und deswegen dachte ich mir, dass ich diese Zettelkommunikation mal nutze, um auch mal ein bisschen positive Energie zu verbreiten. Deswegen habe ich einfach nur einen Zettel an den Kühlschrank gehängt, der allen einen schönen Tag wünscht. Vorher hing da was Nettes wie "An das Arschloch, das immer das Essen klaut: Ich hoffe du erstickst dran!" - das ist noch die entschärfte Version...

Hat auch ganz gut geklappt. Die Stimmung ist ganz gut, nur meine Sonne unten links wird immer wieder gerne bemängelt. Also noch mal für euch: Das da ist eine Sonne. Und jetzt hört auf, euch an so Kleinigkeiten aufzuhängen, oder ich singe "Jede Zelle meines Körpers ist glücklich" in Dauerschleife! Wir haben nämlich jetzt auch das Rätsel gelöst, wo das Essen immer hin ist (gruselig aber wahr): Wenn wir die Tür nicht verschließen, kommen ganz gerne mal Obdachlosen rein, klauen unser Essen, duschen (wenn das ein Obdachloser mit langen Haaren war, hat der bestimmt auch meine Spülung geklaut!) bei uns und schlafen dann in unserem Keller. Ein Traum. Bis jetzt habe ich aber noch keinen davon gesehen, Gott sei Dank. Aber naja, die Hausverwaltung hat das schön nicht erwähnt, aber die Masterstudenten, die schon was länger hier sind, haben uns da mal aufgeklärt. Aso, wenns sonst nichts ist... Schockt mich jetzt auch nicht mehr...


Wir haben jetzt auch eine tolle neue Sportart im Wohnheim entdeckt: Fahrradhochstapeln. Denn wenn wir im Vorgarten eins genug haben, dann Fahrräder. Und irgendwann vor vier Wochen haben die beiden oben gezeigten Herren mal damit angefangen, Fahrräder zu Türmen aufzubauen. Und die müssen leise wie Ninjas gewesen sein - das ist nämlich meine Tür. Aber ich habe davon nichts mitbekommen - meine Mitbewohnerin hatte am nächsten Morgen die Freude, früh rauszumüssen und hat das dann entdeckt. Fand sie suuuuuper spaßig, weil sie sowieso schon spät dran war - und das rote Fahrrad ganz oben ihr gehört. Die stand dann nämlich im Vorgarten und hat sich gedacht "Ey Mann, wo ist mein Fahrrad?". War zu früh, um den Zusammenhang festzustellen.

Naja, und seit dem Vorfall macht das jetzt jeder. Ich weiss gar nicht, wie oft ich in letzter Zeit mein Rad aus irgendeinem Fahrradhaufen fischen und/oder irgendwie wieder von der Laterne runterkriegen musste. Seitdem haben wir auch raus, welche Räder ohne Besitzer sind und deswegen werden wir plötzlich alle zu Fahrradschlossexperten, weil wir jetzt gerne mal alle tauschen. Das war uns nämlich vorher schon klar, dass den 40 Studenten keine 100 Räder gehören können. Die meisten Studenten aus früheren Semestern lassen dir Räder hier im Vorgarten vergammeln.

Ja, so ist das dieser Tage. Wie man sieht, habe ich hier auch schon wieder extrem gut die Vermeidungstaktik angewendet. Ich hab palavert und palavert und palavert statt mir mal die Wikinger noch mal reinzuziehen. Mache ich aber jetzt. Tick Tack Tick Tack und so. Nur noch 21 Stunden. Over And Out :)


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