Montag, 4. Juni 2012

Ausnahmezustand aufgehoben.

Au man, ich kann es gar nicht richtig glauben, aber heute ist tatsächlich schon wieder mein letzter Tag in Schweden. Da gingen die fünf Monate ja wirklich ratzfatz um. Gestern haben meine Mitbewohnerin und ich alles von den Wänden abgebastelt, das wir  in den letzten fünf Monaten in Kleinstarbeit drangebastelt haben. Es ist so gut wie alles gepackt, ich habe geputzt bis alles geblinkt hat und deswegen sitze ich jetzt in einem ziemlich deprimierenden kahlen und leeren Raum, der bis gestern noch nach mir aussah. Jetzt sieht der Raum nur noch nach Gefängniszelle (Typ abgefuckt) aus. Ziemlich ungemütlich wenn ihr mich fragt. 

Und um hier nicht die Krise zu bekommen, habe ich meine schmuckesten Bilder rausgeholt und blicke noch mal auf die letzten ziemlich turbulenten Monate im Ausnahmezustand zurück.


Noch zu Hause. Ich bin ziemlich optimistisch, dass ich mit den eingepackten Winterklamotten eigentlich auch durch einen sibirischen Winter kommen würde. Ich sollte später noch davon überzeugt werden, dass dem leider nicht so ist. 



Ziemlich bescheuert angezogen aber noch fasziniert von der nordischen Kälte mache ich mich dann auf nach Schweden und  bin die einzige Dumme, die auf der Fähre an Deck steht. Trotzdem bin ich stolz wie Bolle, dass ich zwar bescheuert aussehe, die Klamotten aus dem Survivalstore aber halten was sie versprechen.



Optimistisch und auch ein bisschen fertig komme ich nach 15 Stunden Bahnfahrt in Schweden an und kriege erst mal die Krise, weil der Studentenwohnheim mein schlimmster Alptraum ist. Das ist doch nicht deren Ernst?! Werde dann in ein anderes Zimmer gesteckt, das unwesentlich besser ist. Aber meine Mitbewohnerin ist zauberhaft.



Auch meine ersten Eindrücke von Schweden sind zauberhaft. Das Wetter ist gar nicht so kalt, wie ich mir das vorgestellt habe und die erste Woche, in der wir alle die Stadt der drei Herzen erkunden ist es wunderbar sonnig und wir sind optimistisch.



Doch schnell kommt dann die erste richtige Kälte ins Land. Die ersten Tage über ist es trotzdem wundervoll, weil alles so aussieht wie beim Weihnachtsmann vor der Tür und wir nutzen die Zeit Fotos von kitschigen Sonnenuntergängen über dem Meer zu machen. Die Sonnenuntergänge sind allerdings um halb vier und es ist vielleicht fünf Stunden am Tag hell. 



Das Thermometer fällt und ich denke, dass minus sieben Grad schon fies sind. Eigentlich schlafen wir auch alle nur den ganzen Tag. Ohne zwei Energy Drinks am Tag komme ich nicht in die Gänge. Die Stimmung macht sich breit, dass alle wieder nach Hause wollen, wo es wärmer und heller ist. Besonders die Menschen aus dem Süden kriegen einen Kulturschock.



Ich komme auf mein Leben nicht mehr klar, wenn ich aufs Thermometer schaue und -20 Grad feststelle. Der Fluss friert zu und man kommt kaum von der Stelle, weil alles vereist ist. Ich habe in meinem Leben noch nicht so gefroren. Der einzige Trost ist, dass es zu Hause kaum besser ist. Trotzdem will ich, dass das aufhört. Bin ich eigentlich doof? Wieso musste es noch mal Schweden für das Auslandssemester sein und nicht Spanien?



Zwei Wochen bittere Kälte und wir haben einen gewissen Galgenhumor entwickelt. Um das alles hier besser aushalten zu können, trinken wir einfach unglaublich viel - das wärmt schließlich von innen. Hier das Beweisfoto: -20 Grad und wir tragen nur Strumpfhosen. Jetzt sind wir offiziell schwedisch.


Das richtige Studentenleben geht los. Ich bin nur noch aus und so gut wie nie in der Uni weil ich da einfach nicht hin muss. Bin ich im Paradies gelandet? Vielleicht. Das Leben ist wie in einem amerikanischen Collegefilm und genau so, wie in dem Video. Ich dachte immer, das sei eine Hollywoodidee vom Studentenleben. Aber in diesem Semester ist es tatsächlich so.



Ich kriege einen mittelschweren Anfall, weil die Skandinavistikkurse doch nicht so interessant sind, wie ich mir das gedacht habe. Es ist so schlimm, dass ich mir selbst Controlling ganz dringend zurückwünsche. Die anderen in meinem Geschichtskurs übrigens auch. Also nicht Controlling, aber irgendwas anderes, was sie an ihrer Heimuni eigentlich nicht ausstehen können.



Der Super-GAU passiert. Ein mal kurz nicht aufgepasst, Heißgetränk in der Tastatur geparkt und mein Computer nimmt mir das so übel, dass er nicht mehr angeht. Durch das praktisch nicht vorhanden sein meiner Kurse muss ich mir neue Hobbies suchen. Ich komme mir beim Stricken und Puzzeln vor wie eine Oma. Aber besser als nix, ne?



Eine wunderbare Kultur entsteht. Am Wochenende trommeln wir alle Menschen im Wohnheim zusammen und essen zusammen. Jede Woche kocht jemand anderes und ich bekomme wunderbare Einblicke in die weltweite Küche. Mal voll lecker und mal seeeeehr gewöhnungsbedürftig. Abgefahren gutes Thai-Curry, wunderwolle Paella aber auch Seetangsuppe und ein überraschtes Gesicht, als ich in das iranische Gemüse gebissen habe um dann festzustellen, dass das in Essig eingelegt war. Es war nicht schlecht, aber ich hätte es besser gefunden, wenn man mich vorher gewarnt hätte.



Heimweh? Nicht mit uns. In Schweden gibt es keinen Karneval? Uns doch egal! Wir feiern trotzdem ein bisschen und weihen die anderen Menschen schön in unsere Kultur ein. Nur das mit der Schlagermusik und dem Schunkeln verkneifen wir uns. Das wäre ja irgendwie peinlich. Und diese Lightversion gefällt selbst mir altem Karnevalshasser. Ironie des Schicksals ist auch, dass die Niederländer diese Party initiiert haben. Die waren da irgendwie schärfer drauf als die Deutschen.



Weil wir wegen der Kälte den ganzen Tag drinnen hocken müssen, kommen wir auch vor lauter Langeweile auf die absurdesten Ideen. Fahrradstapeln, Bierdosenwettstapeln, Scooterrennen durch den Flur - you name it. Das ist auch immer lustig, allerdings nur, wenn man nicht die leidtragende ist. So wie auf diesem Foto - das ist nämlich meine Tür...



Anfang März ist es schon ein bisschen wärmer. Es sind jetzt nur noch null Grad. Aber hey, das ist ein Temperaturanstieg von 20 Grad. Deswegen traue ich mich jetzt auch mal raus ins nähere Umfeld Halmstads und fahre mit den Deutsch/Französischen arteconnection nach Kopenhagen. Die Stadt ist schön, nur die kleine Meerjungfrau sollte in die mickrige Meerjungfrau umgetauft werden...



Das Leben ist auch ungerecht. Endlich ist das Wetter erträglich und ich muss trotzdem drinnen bleiben, weil die ersten Examen anstehen. Leider ist Geschichte nicht so singen und klatschen, wie ich mir das vorgestellt habe. Ich bin total verwirrt, wer im dänischen Königshaus jetzt mit wem wann und wieso. Aber ich bestehe trotzdem haarscharf. Booya!



Ostern kommt ins Lande und die meisten machen Reisen oder fahren nach Hause. Ich bleibe mit dem harten Kern in Halmstad und bemale fleißig Ostereier und backe Hefezöpfe, die ich fröhlich an alle im Wohnheim verteile und fühle mich ein bisschen mehr wie zu Hause.



Um Ostern rum wird auch das Wetter so gut, dass man an den Strand gehen kann. Zwar immer noch nur fünf Grad gemixt mit Windstärke viertausend, aber nach dem krassen Winter ist das praktisch wie ein Mallorcaurlaub. Ich verliebe mich auch unsterblich in den wunderhübschen Tylösand.



Wir haben ja nichts zu tun und deswegen für den ersten April eine Fake-Hochzeit geplant. Mit Trauung, Torte und allem sonstigen Pipapo. Man könnte sagen, wir haben sie nicht mehr alle beisammen, aber alle, die das behaupten sind doch nur neidisch.



Carinas letzte Woche in Schweden und ich werde dazu genötigt jetzt mal All In zu gehen und rauszugehen um die Welt um mich herum zu sehen. Der erste Versuch scheitert kläglich. Im Elchpark war es jetzt erst mal nicht so spannend. Aber hey, wir sind fast Opfer einer Bisonattacke geworden - wenigstens etwas.



Irgendjemand möchte Krieg mit mir anfangen, indem er meine sauteure Spülung klaut. Aber nicht mit mir! Ich bin kurz davor Kameras aufzubauen um den Dieb ausfindig zu machen. Aber dann gelingt mir der Supercoup, indem ich eine weitere Nachricht hinterlasse die behauptet, dass ich in meine eigene Spülung reingepinkelt hätte. Und die Spülung ward nie wieder angefasst. Geht doch!



Die männliche Besatzung des Wohnheims argumentiert nach diesem Vorfall, dass ich jetzt endgültig und für immer auf der "Crazy" Seite der Barney Stinson Crazy/Hot Skala gefangen bin. Mir recht Schnuppe, Hauptsache die Spülung ist da. Da wir dann rausfinden, dass wir alle How I Met Your Mother stark finden, wird die Serie die nächsten Wochen exzessiv konsumiert.



Carina ist weg, aber noch nicht verloren. Damit sie noch so viel wie möglich mitbekommt, bastel ich eine Carinamaske, die allerdings leider ein bisschen creepy aussieht. Aber sie ist das Highlight auf jeder Party. Rücke immer weiter auf die "Crazy" Seite. Aber ist das Ruf erst mal ruiniert und so...



Geschichte II fängt an und ist - oh Wunder - nicht halb so gut besucht wie Geschichte I. Die anderen waren halt schlauer als wir. Jetzt muss ich immer extra aufmerksam ausschauen, da man bei nur fünf Menschen im Kurs doch recht auffällig ist. Dammit! Ich löse das Problem, indem ich nicht allzu oft hingehe. Brillant.



Das Wetter wird wundervoll warm und allen knallen die Hormone durch. Plötzlich laufen alle nur noch mit einem dicken Grinsen im Gesicht rum. Das ist ganz besonders an den Schweden zu sehen. Plötzlich kommen alle aus ihren Löchern, sind mit einem Mal nicht mehr mürrisch und selbst die missmutigste Sorte der Schweden - Kassiererinnen im Maxi  - flöten mich an.



Die Euphorie hält an. Es sind fast 30 Grad, wir wohnen am Meer und das Leben ist schön. Dann finden wir heraus, dass wir im Meer nicht mal schwimmen gehen können. Aber das ist dann auch egal. Alles ist wundervoll und die Welt liegt uns zu Füßen.



Es kann auch nicht mehr besser werden. Meinen Schwedischkurs habe ich mit Bravour bestanden und das feiern wir mal wieder ausgiebig mit einer Schwedenparty. Da der Nationalfeiertag sich nähert sind auch sämtliche Schwedenartikel zu erhalten. 



Religion in Sweden fängt an und ist eigentlich auch recht interessant, wenn auch schwierig. Hier sieht man die   Entstehungsgeschichte aus Wikingersicht. Ist ein bisschen verwirrend, aber irre amüsant, wenn man die ein mal verstanden hat. 



Ich versuche was für meine Familie zu kaufen, was besonders schwedisch ist. Allerdings gibt es absolut nichts, was die Deutschen nicht schon kennen. Und wenn es exotisch ist, kann man es bei uns trotzdem beim IKEA kaufen. Da fällt mir erst auf, wie sehr ich vorher also schon mit der schwedischen Kultur vertraut war.



Als das Wetter gut genug ist, kommen auch alle Surfer aus ihren Löchern und die weibliche Besatzung des Studentenwohnheims geht dann ziemlich oft an den Strand. Um zu lernen natürlich. Nicht um die Surfer anzustarren. Das würden wir niemals tun.



Ich bin 24 geworden und möchte, dass sich alle so bescheuert wie möglich anziehen. Deswegen schmeiße ich eine Hipsterparty und dann klappt das auch mit dem doof anziehen. Ich komme in den Club rein, obwohl ich ekelhaften blauen Lippenstift trage und etwa 6.000 Promille habe. Das lässt nur die Schlussfolgerung zu, dass ich total awesome bin.




Die letzten Wochen stehen an und wir vertrödeln uns die Zeit lieber damit, das wundervolle Sommerwetter zu genießen als uns auf die Klausuren vorzubereiten. Lernen kann man jetzt auch Nachts. Es ist immer nur hell und wie ich es irgendwann mal im Januar versprochen hatte laufe ich echt den ganzen Tag rum wie ein Duracellhase auf Acid.




Ich habe endlich was gefunden, was wir in Deutschland nicht haben und auch nicht kennen. Nur wird es leider schwierig, dem Postboten das Postbotengefährt unter dem Hintern wegzustehlen, weil es leider nur sechs Stundenkilometer fährt. Und wenn ich es nach Deutschland bringen will, bin ich dann halt wohl leider sechs Wochen unterwegs. Dann lasse ich es doch lieber hier. Oder... ich lasse es frisieren. Mhm...



Letzte Woche in Halmstad. Wir müssen unsere Küche saubermachen. Das ist insofern eine Herausforderung, als dass sonst niemans außer mir in den letzten fünf Monaten da auch nur irgendwas sauber gemacht hat. Aber sechs Mann bzw. Frau und zwei Stunden später ist das dann auch erledigt. Wir fühlen uns wie Superhelden.



Der letzte Samstag in Schweden und wir gehen alle noch mal so richtig All In. Ich bin so betrunken, dass ich es toleriere, dass Menschen mir mit Edding überall ins Zimmer kritzeln. Am nächsten morgen gehe ich dann not amused und total verkatert eine XXL-Flasche Nagellackentferner kaufen. Und da ich die Superhausfrau bin, hab ich das auch tatsächlich rausbekommen. Hat sich das Au-Pair Jahr also gelohnt. Booya!



So, das war es dann jetzt für mich. Morgen reise ich ab und ich freue mich auch schon auf zu Hause. Ich werde die Zeit in Schweden vermissen, aber das Leben muss weitergehen. Fünf Monate Ausnahmezustand mit viel feiern, wenig studieren und unglaublich viel Spaß waren wundervoll. Ich werde die Zeit und ich alle unglaublich vermissen. Doch jetzt ist es Zeit für uns wieder in die richtige Welt zurückzukehren, denn der Ausnahmezustand ist hiermit offiziell aufgehoben. Ich freue mich wahnsinnig darauf, euch alle eines Tages wiederzusehen! Aber ich freue mich auch ganz heftig auf euch alle zu Hause. Und somit ein letztes Mal Over And Out aus Schweden und bis bald! :)

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